Ich bin verloren. Ich treibe umher in diesen gottverlassenen Wäldern, in denen mich die unheimliche Präsenz des Ungewissen langsam umstülpt. Eine Sinnleere beginnt mich zu umschlingen. Sie will mich greifen. Ich laufe. Auf und davon. Ziellos streife ich umher auf der Suche nach einem Spiel was mich mit offenen Armen empfängt und die Wärme und Zugehörigkeit anbietet, die mir der unterkühlte auf Erfolgsaussichten ausgerichtete und durchkalkulierte Triple-A Markt entzogen hat.
Wie in Ketten gelegt, benommen von der Angebotsvielfalt bei gleichzeitiger Lieblosigkeit, die mir die Shopseiten der Spieledistributoren entgegenwerfen. Die Optionsparalyse lässt mich nur ins Leere starren. Stillstand. Die Sinnleere schreitet immer näher. Ich bin hier nicht mehr fähig eigene Entscheidungen zu treffen. Jemand muss für mich diese Ketten entfernen.
Da ist dieses Lamm. Ein freundliches antropomorphes Cartoon-Lamm in schrägem Gewand. Es scheint freundlich zu sein und charismatisch. Es nimmt mir die Ketten ab, nimmt mich auf. Ich habe gar keine andere Wahl als mich ihm getreu anzuschließen.
Das Lamm war einst eigentlich ein Opferlamm predigt es uns, seiner Gemeinschaft, aber es wurde von Gottes Gnade betropft und verschont, mit einem Segen gekennzeichnet und schreitet nun voran, als Advokat für die Unterjochten und Verlorenen, für Herumtreibende und Geschändete. Eine Jede und ein Jeder scheint hier ein Zuhause zu finden. Zu welchem Preis? Erstmal egal. Ist das womöglich ein Kult? Und wenn schon. Ich schließe mich an. Diese harmlose Cartoon-Knuddel-Optik kann doch nichts Böses im Sinn haben. Nur ein kurzer Abstecher. Alternativen sind ja nicht auszumalen.
Ein kleines abgestecktes Gebiet als Heimatlager, umgeben von Dunkelheit und Wald – eigentlich ganz gemütlich. Aber auch ein wenig unheimlich, vor allem, weil wir das Lager nicht verlassen dürfen und auch nicht können. Nur das Lamm darf nach eigenem Belieben rein und raus. Wir bauen uns nach und nach kleinere Behausungen und weitere Notwendigkeiten zur Behauptung des täglichen Bedarfs wie einen Steinbruch oder Gemüsebeete. Doch die Auftragskette des Lamms beinhaltet noch weitere obskure Konstruktionen wie merkwürdige Steinkreise und Altarvorrichtungen sowie ehrbare Statuen des Lamms selbst – wird erstmal nicht hinterfragt. Sicher kein Kult, einfach nur Ausdruck der Wertschätzung.
Während wir stetig daran arbeiten uns zu einer autonomen Anhängerschaft zu entwickeln, begibt sich das Lamm in äußere Gefilde, in „feindliches“ Territorium. Dort draußen lauern Mörder, Vergewaltiger, Entführer, Häretiker. Das Lamm verspricht uns vor dem Außen zu beschützen, das Land zu bereinigen vom Teuflischen. Doch dafür braucht es mehr von uns. Mehr Macht. Mehr Hingabe. Dazu indoktriniert es einige von „da draußen“ in unsere „Gemeinde“. Sie fügen sich schnell ein und wenn nicht – nun. Wir fangen nun also an uns für den höheren Willen aufzugeben, voll und ganz dem Lamm hinzugeben. Selbst wenn es bedeutet das eigene Selbst zu opfern. Wir fangen an Gebrauch von den Altaren zu machen. Das Lamm ist erfreut, der Kult ist erfreut. Wir sind, sie sind voll und ganz dem Lamm verfallen. Liegen frivol unter dem Deckmantel der schier endlosen Positivität, den grellen Farben und den frohgestimmten Gesängen. Denn wir, sie, haben keine Wahl. Zweifler werden gebrandmarkt, eingekerkert oder schlicht entfernt, müssen als Opfergaben herhalten. Hinter der Fassade der Cute- und Coziness verbirgt sich das Gesicht selbstgefälligen Grauens.
Das Lamm selbst hatte jedoch auch nie eine Wahl. Es betrieb die Flucht nach vorne, um dem Schicksal eines jeden Lamms zu entrinnen. Das Missionieren im Namen eines fremden göttlichen Wesens bot ihm die einzige Option am Leben zu bleiben. Es solle einen eigenen Kult errichten, um die anderen göttlichen Entitäten und Strukturen zu entfernen und Platz zu machen für den einen wahren Gott, der das Lamm verschonte. Nun liegt es am Lamm die Kreisläufe und Dynamiken der Kulte aufrechtzuerhalten oder umzustürzen.
Der Selbsterhaltungstrieb des Kults erfordert das nichts Ungewolltes nach Außen gelangt. Dies sorgt allmählich für Unbehagen unter der Anhängerschaft. Doch die einmal täglich stattfindenden Predigten des Lamms besänftigen die Gemeinschaft, auch die regelmäßig stattfindenden Zeremonien und Rituale sämtlicher Art halten den Glauben aufrecht und erheitern die Gemüter.
Mitglieder verschwinden, werden öffentlich angeprangert, hinterrücks ermordet, gefangen gehalten oder zeremoniell „verabschiedet“. Wir nehmen es hin denn wir sind mit einem allerlei an Irrglauben indoktriniert. Das Zugehörigkeitsgefühl und die göttliche Bestimmtheit überschwemmen jeden Zweifel. Uns geht es schlecht? Wir erleiden Hungersnöte und Epidemien, opfern dutzende Bekannte und Freunde, geben uns auf für unseren Advokaten? Zweifel? Nein, das geschieht alles zum höheren Wohl. Lasst uns einfach nochmal im Kreis tanzen.
Hier dreht sich wirklich alles im Kreis. Alles wiederholt sich. Die Belohnungen machen nichts mehr her. Lediglich neue Kostüme für die Anhängerschaft oder irgendwelche Schreinverzierungen sind hier noch zu erspielen. Ich hab genug. Hier gibt es nichts mehr für mich, hier gab es nie etwas für irgendjemanden, außer fürs Lamm.
Wir tanzen. Sie tanzen. Unentwegt weiter und weiter, ständig im Kreis, halten kurz an und dann doch wieder weiter im Kreis.
So, das ist die Gelegenheit. Wird Zeit den Kult zu verlassen. Ohne mich zu verabschieden, sang und klanglos werde ich mich davonmachen. Zum Glück war ich nur ein heimlicher Beobachter, kein „echtes“ Mitglied dieses Kults. Zum Glück kam niemand dahinter, sonst würde ich noch auf dem Opferaltar landen. Oh, wer kommt denn da nun so ungestüm auf mich zugerannt? Meine Anwesenheit wird bei einem wichtigen Ritual erwünscht und ist von höchster astrologischer Bedeutung? Ist das vielleicht MEIN Moment, der Moment meiner Erleuchtung, meiner Erhebung in himmlische Sphären? Darf ich jetzt das Lamm sein? Das Opferlamm?