Das Bällebad – ein faszinierender Ort, vor allem für kindliche Gemüter, mit beinahe mystischer Anziehungskraft. Ein irrationales Verlangen hineinzuspringen und dem Wahnsinn zu verfallen befällt einen beim Anblick der einladenden Buntheit. Doch was verbirgt sich eigentlich unter all den Farben, dem oberflächlichen Spielspaß? Ein Sammelsurium unliebsamer Überraschungen? Ein tiefes Schwarz? Ein Infektionsherd, die Brutstätte vieler unerwarteter Krankheitserreger?
In Ball x Pit hat eine Erschütterung der Macht stattgefunden. Unzählige bunte Bälle schleudern wahllos umher, ohne eine verbliebene Einhaltung, einen Rahmen, einer Grenze, die sie einhält, haben sie keine Macht mehr. Sie rollen richtungslos umher bis sie zum Erliegen kommen. Die Wände des Bällebads wurden zum Einsturz gebracht. Die Grundfesten der Elite wurden erschüttert. Sie scheinen unter dem Gewicht ihrer Dekadenz zusammengebrochen zu sein. Ballbylon ist gefallen, liegt in Trümmern, in einem tiefen Abgrund. Tief unten verborgen in den Schatten der Dunkelheit rütteln Kreaturen der Nacht an den der Oberschicht Halt gewährenden Streben, an der Einzäunung, der Grenzziehung, zwischen ihnen und denen dort oben. Ballbylon, das Bauprojekt eines ultimativen Bällebads, eines Infinity Pools, ist gescheitert, vorerst. Es ist übergelaufen und die Kreaturen drohen ihr verkommenes Loch zu verlassen.
Nun sind wir als Spielende an der Reihe. Zunächst ausgerüstet mit einer schlichten Ballabschusswaffe und einem völlig gesunden und menschlichen Streben nach Gottesgleichheit begeben wir uns ins Bällebad. Die Anzahl unserer Bälle ist jedoch noch zu überschaubar. Wir kratzen nur am Potential des Möglichen. Mit jedem vermeintlichen Scheitern erweitern wir unser Imperium, erweitern unser Bällearsenal. Wir steigen hinab geben uns unserer Schießwut hin, klauen Ressourcen und Gold und investieren in unsere kleine privilegierte Gemeinde aus Eliten oberhalb des Abgrunds. Nicht umsonst heißt es „Roguelike“. Wir rauben und brandschatzen. Unserer Gier sind keine Grenzen gesetzt. Um unseren Lebensstil abzusichern und auch das Gelingen unserer weiteren Vorhaben zu gewährleisten ist es zwingend notwendig die Kreaturen dort unten eingezäunt zu halten, sie zu mästen, um von ihnen zu zehren. Andernfalls hätten wir keine Macht, hätten unsere Bälle keine Macht. Wir drängen die uns entgegenkommenden Kreaturen weiter zurück, tiefer zurück. Tiefer in den Abgrund.
Während wir erneut das Bauprojekt Ballbylon in die Höhe heben. Wir stellen nach und nach die Ordnungsverhältnisse wieder her. Mit jedem Versuch werden wir mächtiger. Beinahe wünschen wir uns fast schon das Scheitern eines Runs herbei, da wir im Anschluss einen noch verheerenderen neuen Start wagen können. Die Konsequenzen unseres Scheiterns tragen ohnehin nicht wir. In klassischer Roguelike-Manier starten wir einfach erneut, aber eben mit erarbeiteter Metaprogression – also der Beute aus dem Run zuvor. Als ob ein Klon die Haftung für unsere Untaten übernimmt, dort unten verreckt, den uns unliebsamen Kreaturen zum Fraß vorgeworfen wird. Als Wiedergutmachung für unsere verübten Massenmorde an ihnen. Unseren Klon könnt ihr haben, wir werden frohlockend oberhalb neu spawnen mit erweitertem Reichtum und verschmitztem grinsenden Blick in die Tiefe – ohne die Möglichkeit zu hinterfragen, ob nicht auch wir, die Klone sein könnten. Aber es ist ja eigentlich auch egal. Es geht ums Prinzip. Wir sind unantastbar. Wir genießen unsere Straffreiheit als die gehobene Schicht, als der oben hausende Adel. Verantwortungen werden verschoben und wir machen weiter, weiter mit unserer Suche nach Grenzüberschreitung, weiter mit unserer Sucht.
Wir besitzen die Druckmittel. Die Macht mit Bällen zu werfen. Um jeglichen Aufstand, jegliches Aufbegehren von unten niederzudrücken. kleine Bälle, große Bälle, bunte Bälle, bebenauslösende Bälle, Schockfrostbälle, Elektroschockbälle, Giftgasbälle, blutsaugende Bälle, Abrissbirnen.
Jedoch sind unsere Motive dort unten nicht rein defensiver Natur. Wir wollen schließlich expandieren. Wir bewerfen die Unterschicht mit allem was geht, leben die ultimative Freiheit aus, vor allem die Freiheit vor Verurteilung und beginnen langsam uns stark daran zu ergötzen. Zu den Motiven der Verteidigung und Expansion gesellt sich also noch die Lust. Wir leben völlig befreit von jeglichen Schranken, unter bzw. über den Eingeschränkten im Ballpit. Hier können wir unseren Machtfantasien freien Lauf lassen, der Dekadenz, können uns frei vor Verurteilung dem moralischen Zerfall hingeben und im Anschluss wieder an der Oberfläche, im warmen Schoß der Wohlstandsgesellschaft, wiederfinden.
Die Verteidigung und Etablierung eines solchen Status bedarf einiger Legitimation abseits der schieren Gewaltandrohung. Vielleicht tun es ja ein paar Aufstiegsversprechen und die Versicherung, dass auch wir, hart hierfür arbeiteten. Irgendwer muss ja auch diese ganzen Bälle polieren. Was nicht glänzt, währt nicht, oder so. Darin liegt unsere Arbeit, also nicht im Polieren, sondern darin, jemanden dieser Arbeit zuzuteilen. Wir steuern das Spiel. Unsere Arbeit ist das Besitzen. Das Besitzen des Infinity Pools und der unendlich mit Polieren des Pools beschäftigten Beschäftigten.
Unsere Expertenkommission aus gleichgesinnten gewaltbereiten Individuen entwirft unentwegt Strategien zur Krisenbewältigung. Seht sie euch an, die Verkörperung des geballten Wissens der Menschheit, der Massenvernichtung.

Mit unseren Experten entwickeln wir neue noch nie dagewesene Ballvariationen, verstreuen unter anderem mit charismatischen Reden aufgeladene Propagandabälle, die die Massen dort unten in unserem Sinne handeln lässt. Ihnen das „Monster“-Dasein imprägniert. Sie übernehmen unser Narrativ, wenden es an ihren Mitlebewesen an. An solch eine Zerstörungskraft reichen selbst unsere vorigen Kreationen wie Infernobälle oder Bombenbälle nicht heran. Zudem lassen sich solche Charmebälle der Überzeugungskraft auch noch mit Bällen aus der Kategorie der reinen Zerstörungskraft fusionieren. Unsere Bälle durchlaufen die wahnwitzigsten Evolutionen, schneiden verheerende Schneisen in die Mengen. Der Bildschirm flackert lichterloh und der Wahnsinn, die Power Fantasy, überfällt auch uns Spielende.


Das Aufstiegsversprechen und die Gewaltandrohung vermögen für einen Großteil der Bevölkerung als Legitimation für die hiesigen Verhältnisse schon ausreichen. Wir schmücken uns mit schönen Reden und fortschrittlicher Technologie, doch um auch unsere dahinterblickenden und radikalisierten Gegner stummzuschalten, bedarf es mehr. Wir brauchen eigene radikalisierte Anhänger. Den Boden hierfür haben wir bereits gesät. Der Mystizismus rundum unser Großprojekt Ballbylon greift. Die Notwendigkeit unendlichen Wachstums ist etabliert. Was können wir noch tun? Unsere Ausbeutungssysteme stehen doch schon auf Anschlag. Die paar radikalisierten Seelen dort unten werden sich schon einfügen. Also vielleicht löst sich das Problem von hier an einfach von selbst?

Im weit vorangeschrittenen Spielverlauf, im ENDGAME, wenn man so will, erhalten wir Zugriff auf das in unserem Sinne perfekte Individuum. Ein rechtschaffener, kampferprobter Supersoldat, der bereit ist sich für seine unseren Ideale auf radikalste Weise einzusetzen, der bereit ist uns die Drecksarbeit abzunehmen. Eine ramboeske Spielfigur, die sich von selbst steuert.

Hier transmutiert das Roguelike zum Idle-Game. Vorher mussten wir unsere Raubzüge immerhin noch selbst durchführen, nun übertragen wir diese Aufgabe auf unseren Rambo und warten lediglich auf unsere Erträge. Wir wachsen unentwegt weiter ohne selbst noch etwas tun zu müssen, außer eben durch Menüs zu navigieren und einige grobe Befehle zu erteilen. Die Bälle rollen von selbst. Auch unsere Industriegebäude beginnen selbstständig Profite zu erwirtschaften und uns diese zufließen zu lassen. Vorher waren wir noch abhängig davon selber die Ernte und den Abbau von Ressourcen durchzuführen. Mit Voranschreiten im Spiel, automatisieren sich sämtliche Aufgaben bzw. verschieben wir diese Verantwortungen von uns weg, ohne aber auf die Profite zu verzichten. Unser Infinity Pool scheint verwirklicht. Scheinbar unendliche Erträge fließen uns zu. Fürs Nichtstun.
Gegen Ende bleibt uns kaum noch etwas zu tun, außer eben das maßlose ausgeben unseres unendlich wachsenden Reichtums. Unsere Position am Machthebel scheint gesichert, das Spiel hat sich verselbstständigt. Unzählige bunte Bälle flackern über den Bildschirm. Es wird Zeit für uns in die selbsterschaffene, sphärische, verschwenderische, kosmische Existenzebene überzugehen. Ins verheißene Ballbylon. Während unten alles für uns arbeitet.

Lässt sich derweil nur hoffen, dass unsere etablierten Unterdrückungssysteme auch weiterhin greifen – unser Rambo sich nicht plötzlich gegen uns radikalisiert, sich solidarisiert mit den Opfern unseres Infinity Pools, sich die Infinity unseres Pools nicht als Fassade offenbart und doch überzulaufen droht, die Bälle nicht plötzlich außerhalb des Beckenrands rollen.