In bezaubernder Willkür kollidieren die Massen, drängeln aneinander vorbei, fallen in die unausweichliche Ausscheidung. Schon Takeshis Castle legte uns einst die Faszination nahe, einer unpersonifizierten Menschenmasse dabei zuzusehen, wie sie auf verschiedenste Hindernisse zurennt – und fällt. Fall Guys ist nun ein Spiel das uns zum Teil dieser Masse werden lässt. Als eine oder einer von 60 Teilnehmer_innen dürfen wir an einer fantastisch ulkigen Gameshow teilnehmen. Aus der einst unpersönlichen Faszination, welches erstaunt aus der Ferne beobachtet wurde, wird nun endlich eine persönliche, spielbare, teilnehmbare Faszination. Und wie sollte es auch anders kommen, das Spiel fasziniert die Massen, trotz happigem Inhalts. Immerhin lassen sich die Spielfiguren kostümisieren. Das Konzept einer bizarren Kult-Gameshow, optisch jedoch etwas völlig eigenes. Doch wer sind diese Knutschkugeln, die Spielfiguren die wir steuern, die sich Fall Guys nennen? Wer sind sie und was ist ihre Motivation?
Quietschbunte Knutschkugeln auf chaotischem Vormarsch um das Ergattern einer Krone. Einer Krone als Erfüllung aller Träume und Wünsche. Warum ist das Streben nach dieser Krone so immens, dass dafür die gewalttätige Verdrängung jeglicher Mitkonkurrenz geduldet wird? Die Krone symbolisiert Durchsetzungsfähigkeit, Widerstandkraft und Glück gegenüber allen anderen Teilnehmer_innen gehabt zu haben, den Aufstieg gemeistert zu haben. Oder eben einfach besser gewesen zu sein. Aber ist dem wirklich so, gewinnt in Fall Guys wirklich immer der oder die Beste? Oder ist es vielmehr so, dass die Person, die ihre Startchancen am besten zu nutzen wusste, gewinnt, und der elendige Rest, der eventuell zu ähnlichem fähig wäre, sich aber nicht in der nötigen Position dafür befand, in der Chancenlosigkeit verdirbt. Finden wir in Fall Guys also vielleicht uns nur allzu gut bekannte gesellschaftliche Strukturen wieder? Fall Guys mag wesentlich zugänglicher sein als die Genre-Kollegschaft, was jedoch auch die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Spiels verflacht. Der Großteil der Spielerschaft befindet sich auf ähnlichem Kenntnisniveau, wodurch vermehrt der Zufall bzw. das Umfeld, die Position, über den Ausgang der Situation entscheidet. Kann sich aus einer ausweglosen Situation dennoch befreit werden? Sicherlich, doch dieses Privileg bleibt wenigen durchsetzungsstarken Knutschkugeln überlassen. Größtenteils müssen sich die schlechter Situierten selbst zerfleischen. In der hintersten Reihe herrscht der schiere Überlebenskampf ums Weiterkommen. Die vordere Reihe besitzt meist das Privileg bequem durchs Level zu hüpfen ohne jegliches Hindernis, außer die eigene Unfähigkeit. Der Blick nach hinten ist mit Entsetzen und Ekel beladen, auf keinen Fall darf mit den schlechter Situierten der Kontakt geschlossen werden, die hintere Reihe muss gemieden werden. Zudem kann die vordere Reihe in vielen Fällen über die Beschaffenheit des Levels für die restlichen Anstürmenden entscheiden. Wer sind also diese Knutschkugeln, genannt Fall Guys, wenn nicht weniger als ein akkurates Abbild unserer eigenen gesellschaftlichen Realität?
Als Fall Guy wird innerhalb einer Organisation oder eines Unternehmens eine entbehrliche Person bezeichnet, welche als Sündenbock auserkoren und aussortiert werden kann. Eine Person, die für Dinge, meist schlechte, verantwortlich gemacht und ohne Reue fallen gelassen wird. Es liegt nun an den Fall Guys sich zu solidarisieren und gemeinsam nach der Krone zu hechten. Sie sind es gewohnt schlecht behandelt zu werden, sie sehnen sich nach Anerkennung, nach Umarmungen. Wer den Fall Guys das nächste mal also bösartige Intentionen unterstellt, wenn sie versuchen nach einem zu greifen, sei als verrucht gekennzeichnet. Denn es stellt sich heraus, dass es sich bei dem Griff in Fall Guys nicht um eine Waffe handelt, sondern um ein Werkzeug der Liebe. Fall Guys besitzt wenige Mechaniken, doch diese eine, der Griff, ist eine Mächtige, sie ist alles was uns bleibt. In Fall Guys sind wir alle gleich, wir sind alle entbehrlich, wir sind alle Fall Guys.