Was ist der Geist der Weihnacht? In der Erzählung Charles Dickens‘ versucht dieser Geist uns und dem grantigen Ebenezer Scrooge den wahren Wert der Weihnacht zu veranschaulichen, dass es um Zusammenkunft, Gemeinsinn, um Solidarität und Dankbarkeit geht. So wendet sich das Gemüt des herzenskalten, zynischen Ebenezer Scrooge um 180 Grad und die Geister transformieren den kapitalistischen Machthaber zu einem warmherzigen Wohltäter. Noch immer werden oftmals solch romantisierte Fassungen herbeigezogen um den Sinn Weihnachtens zu erläutern. Doch sind diese nicht eine Verblendung der Gegenwart? So spielen sie zumeist in nostalgisch verklärten Vergangenheitszuständen, während die gegenwärtige Realität sich bereits weit von dieser romantischen anti-kapitalistischen Erzählung weg bewegt hat. Nicht dass es bei heutigen Weihnachtsfeiern nicht mehr um grundlegende Werte wie Solidarität gehen kann und auch dies noch wichtiger Bestandteil der heutigen Kultur sein kann, doch ist die Vorstellung der heilen Welt, mit großzügigen Spendern und Weltrettern, wohl doch ein wenig überholt. Wo wird uns noch veranschaulicht wie es wirklich ist? Ein herzliches Weihnachten, ein herzliches, ausbeuterisches. Wo uns das Leid der einen Menschen und das Glück der Anderen deutlich gemacht wird. Vielleicht bietet das moderne Medium der Videospiele ja eine brauchbare Alternative zu den gängigen Erzählungen, den wirklichen Geist der gegenwärtigen Weihnacht.
Apex Legends, eigentlich ein klassischer Battle-Royale Shooter mit Hero-Komponente, schaltet rituell zu dieser Jahreszeit einen weiteren Modus hinzu, der sich Winter-Express nennt. Drei Squads kämpfen um die Vorherrschaft eines Güterzugs, welcher symbolisch aber auch wortwörtlich die von allen so hoch begehrte Weihnachtsfracht transportiert. Keine Rücksichtnahme auf die Schwächeren, der Stärkere setzt sich durch, besetzt den Zug und nimmt am Ende die besten und größten Geschenke mit nach Hause, den Sieg. Das Freud der Einen und das Leid der Anderen.
Zudem wird in Apex auch auf mikrotransaktioneller Ebene Anregung zur Ausübung des Konsumtriebs gegeben. Zahlreiche, thematisch zur besinnlichen Zeit ausgerichtete Skins und andere kosmetische Gegenstände sind zum Erwerb verfügbar. Auf mikrotransaktioneller Ebene verführt das Event also auf ziemlich gewöhnliche Weise zur Gefolgsamkeit der Reize. Doch Apex versucht eben auch auf spielerischer Ebene zu verführen. Warum ist der Winter-Express-Modus so begehrt? Zum Einen bietet er eine willkomene Abwechslung zum doch eher langsam und taktisch orientierten Battle-Royale-Modus. Wo im Battle Royale oftmals minutenlang umhergeirrt wird und hauptsächlich das Beschaffen von hochwertigem Loot beschäftigt hält, nur um letztlich komplett niedergerannt zu werden, bietet der Winter-Express eine actiongeladene Alternative, hier kommt es beständig zu kompromisslosen Infights, Schusswechsel-Situationen werden ununterbrochen aneinandergereiht. Zum Anderen ist es wohl die Vorenthaltung des Express-Modus, welcher lediglich zu dieser Zeit die Gleise der Map befährt, durch die das Bedürfnis nach ihm geschürt wird.
Und nun ist die Zeit endlich gekommen, das Warten hat ein Ende. Die Konsumbereitschaft ist da. Der Modus hat bereits begonnen, der Winter-Express ist auf und davon. Die Massen stürmen auf ihn zu, springen komplett gedankenverloren von ihren sicheren Transportschiffen in die Gemengelage und kämpfen um die Herrschaft. Ist dieser Modus also eine smarte, perfide Allegorie der Echtweltzustände? Zum hemmungslosen Weihnachtskonsum, dem Kauf- und Erwerbstrieb, dem Marktwettstreit? Einem Wettstreit sämtlicher Marktakteure um die ideale Vertriebsplattform? Der Winter-Express als Allegorie für den Markt selbst? Ein Kampf sämtlicher Marktakteure, um den Markt selbst? Eher nicht, doch ich deute es jetzt mal so. Während die übrigen Squads von Transportschiffen hinaus aufs offene Feld stürzen müssen, kann das führende Squad gemütlich im Zug verweilen und die Lage beobachten. Aus ihrer Situation ist es meist leichter die Dominanz zu bewahren, sie können fingerleckend ihrer kommenden Beute entgegenblicken. Die Beute, welche alle übrigen Squads darstellen. Für diese wird es nämlich schwierig, aus ihrer misslichen Lage zerfleischen sie sich meist sogar gegenseitig, bekämpfen statt dem Herrscher-Squad die anderen ärmlichen Verzweifelten, oder es kommt gar zu sogenannten Rage-Quits, wutentbrannten Quittierungen, sie verlassen den Wettkampf und ihr Team. Beim Kampf um die Behauptung des Marktes, eh, des Zuges, gilt es die beste Position einzunehmen und diese ist mit Abstand der Zug selbst. Da diese Position sehr begrenzt Platz bietet, müssen sich die übrigen Squads Alternativen einfallen lassen. Ihn kreativ umspielen. Mittels trickreicher Flankierungen, Platzierungen auf Nieschenmärkten, eh, versteckten Positionen an den Bahnhöfen an denen der Zug kurzzeitig anhält, können Winkel gefunden werden, aus welchen mit geringerem Risiko angegriffen werden kann. Von dort können erste Beobachtungen getroffen werden, während nicht gleich die gesamte eigene Existenz aufs Spiel gesetzt wird. Oder die übrigen Squads versuchen sich zu solidarisieren, da sie ein gemeinsames Interesse verbindet – das Verdrängen des führenden Squads – könnten sie ein vorübergehendes stummes Bündnis eingehen, um das Herrscher-Squad zu stürzen.

Es macht ja auch Spaß, das Ganze Gewusel, zumindest wenn letztlich die gewünschten Objekte ergattert und eine erfüllte, erfolgreiche Heimreise angetreten werden kann. Für oder auch gemeinsam mit Freunden und Familie wird dieses eigentlich ja so belastende und überladende Unternehmen in Angriff genommen. In Apex sowie in echt. Die Herausforderung den Express zu meistern, um sich anschließend gegenseitig mit hart erkämpften Produkten zu beschenken. Doch in Apex erhalten wir für das erfolgreiche Abschließen nichts. Was kann denn dann der Geist der Weihnacht sein, wenn nicht das Verschenken von möglichst üppiger, kostbarer Ware? Wozu der ganze Stress des Gewusels? Wozu beweisen wir Durchsetzungsvermögen und Willensstärke, wenn am Ende nichts dabei rausspringt, kein Gegenwert, keine Belohnung?
Es muss wohl diese perverse Form von genereller Zuneigung zu anderen Menschen sein, was wir für andere auf uns nehmen, in was für Situationen wir uns begeben, um mit unseren Mates den Sieg davon zu tragen. Denn zuletzt ist Weihnachten doch ein Fest der Liebsten und auch eben nur und ausschließlich der Liebsten. Das unmittelbare Umfeld muss aufgewertet werden. Der Geist der Weihnacht treibt uns dazu an, zu verteilen, doch nur zum eigenen Wohl und das eigene Wohl hängt eben auch vom Wohl der Nächsten ab, vom eigenen Squad. Die anderen Squads sind egal, sie sind die Feinde. Es geht nicht um gerechte Verteilung, Solidarität oder Sonstiges, sondern um das Halten der Deutungshoheit über den Winter-Express. Denn nur dort kann sich in aller Ruhe verbarrikadiert werden, Mauern hochgezogen und die übrigen Teilnehmer vom Markt gedrängt werden. Warum müssen auch immer alle gleichzeitig von ihren Dropships abspringen und eine ultimative Massenkaramboulage, eine Konsumschlacht, verursachen? Nun, das ist es wohl, was dieses Fest so auszeichnet. Das ist es, der Geist der Weihnacht. Das Fest der Liebe, Nächstenliebe.
