Der eigene Blick ist der für uns Wesentliche. Die eigene Perspektive auf die Dinge erscheint uns als die einzig wahre und richtige, bis sie eventuell durch eine weitere ergänzt wird. Ändert sich die Perspektive, passt unser Blick sich an, eine Neuausrichtung findet statt und wir erkennen und verstehen noch mehr von dem, wovon wir unlängst dachten, das Wesentliche erkannt zu haben. Es kann schwer fallen sich einer Neuausrichtung hinzugeben, neue Perspektiven zu verstehen und anzuerkennen. Doch befassen wir uns mit den verschiedensten Perspektiven trotzdem, um nicht der Ignoranz zu verfallen. Um solche Perspektivwechsel und Neuausrichtungen geht es in NieR, neben all den existenziellen Fragestellungen über die Trennung von Körper und Seele, sowie was eine Seele überhaupt sein soll und inwiefern welche Lebensformen so etwas wie eine Seele oder ein Bewusstsein entwickeln können. In NieR wird versucht nahezu alle Perspektiven von Lebewesen innerhalb der Spielwelt, aufzuzeigen. NieR spielt mit erzählerischen sowie spielerischen Perspektivwechseln. Die Spielerischen äußern sich in überraschenden Wechseln der Kameraansicht, welche die erzählerischen Perspektivwechsel untermauern können, aber vermutlich eher als nettes Gimmick anzuerkennen sind.
Die Erzählung des Spiels startet mit der Perspektive einer verzweifelten Menschheit, die in einer apokalyptischen Welt nur noch schwach und am Rande ihrer Existenz schwelt. Wir sehen zwei Geschwister, die in einem Supermarkt, mitten in einer heruntergekommenen Großstadt, verwahrlosend ums Überleben ringen. Die nächste Perspektive ist ein weiter Sprung in die Zukunft, die Gesundheit der Menschheit scheint wiederhergestellt, doch warum und wie, lässt sich noch nicht sagen. Auch scheinen die Menschen in ihrem geschichtlichen Zeitalter zurückgeworfen worden zu sein. Jeglicher technologischer Fortschritt ist verloren und es werden mittelalterliche Rüstungen und Waffen getragen. Zudem gehören dieser Welt auch dubiose schattenhafte Gestalten an, die sich in Form, Größe und Macht stark unterscheiden und denen die Menschen feindselig gegenüberstehen. Wir spielen einen jungen kampfbegabten Burschen, welcher mit seiner Schwester in einem beschaulichen Dorf lebt. Wobei uns die beiden, den Menschen aus der ersten Perspektive auffällig ähnlich scheinen, doch der Zeitsprung ging ja so weit in die Zukunft, dass eine Übereinstimmung dieser Personen ausgeschlossen bleiben sollte, richtig? Das sind im Wesentlichen die Rahmenbedingungen dieser Spielwelt. Doch im weiteren Verlauf löst sich dieser Rahmen immer weiter auf, die vorherrschenden Verhältnisse in der Spielwelt werden sukzessive aufgebrochen und unsere eigene Existenz wird hinterfragt. Und während all dem werden wir emotional Stück für Stück auseinandergerissen.
Um allerdings alle Perspektiven des Spiels wahrzunehmen, müssen wir es mehrmals durchspielen, zwar nicht in seiner Gänze, doch viele Abschnitte werden sich wiederholen, damit wir in den Genuss der Erkenntnis kommen dürfen. Das kann mühsam werden, so bietet das Kampfsystem leider kaum herausfordernde Aspekte, auch wenn es Spaß macht sich den durchgestylten Animationen, die beim wilden Knopfdrücken abgefeuert werden, hinzugeben. Das Levelsystem verliert später auch an Bedeutung, so ist uns schon bald kaum noch eine Herausforderung gewachsen, auch an Heilitems fehlt es nie, das Gefühl einer Bedrohung durch die Spielwelt geht dadurch schnell verloren, wodurch das Gameplay dann doch recht früh eher mühsames Mashing wird und vom anfangs zumindest noch oberflächlichen Spaß, zur reinen Anstrengung, die es zu überwinden gilt, mutiert. Immerhin graben wir zumindest erzählerisch etwas weiter unterhalb der Oberfläche, so müssen wir uns die tief vergraben liegenden anderen Perspektiven der Erzählung freischaufeln. Wir graben, suchend nach etwas, unwissend wonach genau eigentlich, aber suchend, nach einer Erkenntnis. Und dieser Prozess des Freigrabens ist eben tatsächlich auch ein sehr anstrengender und langwieriger Prozess, was das Gameplay, wahrscheinlich unbeabsichtigt, wiederspiegelt. Doch werden wir für diese Anstrengung nun nicht nur mit ergänzenden Perspektiven belohnt, auch erweitern diese Perspektiven den Strang der Hauptgeschichte um jeweils ein kleines Stück. Das Ende des Spiels ist dann nicht nur ein leicht verändertes, es ist ein erweitertes. Bei den NieR Spielen gibt es ja bekannlich verschiedenste Endings, nur sind diese eben teils nicht nur alternative Spiel-Enden, sondern fügen sie den vorigen Enden weitere Aspekte und Ergänzungen hinzu, was den Reiz des nochmaligen Durchspielens verstärkt. Die Perspektiven eröffnen uns einen erweiterten Blick auf die Geschichte. Mit der Erweiterung, dem Remake, Remastered, oder wie auch immer, mit der neuesten Version von NieR Replicant wird abermals eine weitere erweiternde Perspektive hinzugefügt, ein komplett neues Segment sowie ein neues Ende.
Mit jeder darauffolgenden neu hinzugewonnenen Perspektive, verschärft sich der Blick für das bereits Geschehene, es wird mehr Verständnis für andere Spielfiguren aufgebaut, obwohl jedes Mal im Grunde dasselbe geschieht, gewinnen die Spieldurchläufe durch die neuen Perspektiven immens an emotionalem Gewicht. Nur ist es eben auch ein tragischer Kampf. Wir müssen die tragischen Geschichten dieser Welt ein ums andere Mal erneut erleben und mit jedem Mal werden weitere Details offenbart, die diese leidvollen Erlebnisse nur nochmals verstärken. Und dann ist da ja noch das Gameplay, welches sich mit jedem Durchlauf in seiner Repetitivität verstärkt und ebenfalls zu einer qualvollen Handlung degradiert. Wer sich also gerne emotional zerreißen oder vielmehr zerschreddern lässt, wer Gefallen daran findet Trauer aus verschiedensten Perspektiven zu empfinden, der ist mit NieR gut bedient. Nur ob das Ganze spielerisch dann auch noch Spaß macht und ob es das überhaupt soll, bleibt wohl Ansichtssache – oder eben eine Frage der Perspektive.
