Was ist das hier? Play x Read, was soll das heißen? Eine Formel, ein Crossover? Einmal spielen x einmal lesen? Ja, oder anders formuliert: Eine Spielerfahrung mit einer Leseerfahrung kreuzen. Irgendwie muss sich doch das Ab- und Verarbeiten, zweierlei künstlerischer Erzeugnisse, die das Bedürfnis der Aufarbeitung auslösen, kombiniert bewerkstelligen lassen. Für eine Zeit- und Gedankenersparnis. Und eventuell auch um mein Leseverhalten etwas aufzuheizen, indem ich die konsumistischen Eindrücke aus beiden Medien verbinde. Oder betrachten wir es lieber als Spiel- und Buchvorstellung, das klingt weniger selbsttherapeutisch. Im besten Fall lassen sich ja sogar einige Parallelen zwischen den hier gegenübergestellten Werken aufzeigen.
Mein kürzlichster „Read“ war Yoko Ogawas „Das Museum der Stille“, welcher mich alleine schon von der Emotionspalette, der es sich bedient und der Stimmung, in die es versetzt, sehr an ein „Play“ von vor einigen Jahren erinnerte – „What Remains of Edith Finch“ vom Entwicklerstudio Giant Sparrow. Beide bedienen sich einer absurd, komisch und vor allem ominös wirkenden Kulisse, welche allerdings nie die Bodenhaftung verliert und in welcher eine Geschichte voller tragischer und zugleich auch tröstender Elemente ausgebreitet wird. Doch überschneiden sich die beiden Werke nicht nur in Stimmung. Auch in inhaltlichen Aspekten lassen sich Überschneidungen finden.
Das Museum der Stille ist ein Ort der Erinnerungen, wie wohl wahrscheinlich jedes Museum. Ein Ort, an dem mittels spezifischer Objekte an Ereignisse, Epochen, besondere Personen erinnert wird. Doch das Museum der Stille nimmt sich zum Anlass, die gerne verbleichenden Erinnerungen an gewöhnliche Leute aus dem Dorf, in dem es steht, zu bewahren. Eine ältere Dame aus jenem Dorf, setzte sich schon in frühem Alter der selbst auferlegten Bestimmung aus – ein Museum aus personenspezifischen Gegenständen, die wiederum von den Verstorbenen erzählen sollen, zu errichten. Doch ihr mittlerweile hohes Alter erlaubt es ihr nicht mehr, ihrer obskuren Beschaffungsmethodik nachzugehen. Eine Methodik, die darin besteht kurz nach dem Tod einer Person aus dem Dorf, sich meist auf Pfaden der Illegalität bewegend, direkt nach einem passenden Objekt für die Sammlung zu suchen und es zu entwenden. Daher engagiert sie einen jungen Museumsaufbereiter, den Protagonisten des Buches, welcher strebsam, wenn auch öfters etwas verwundert, den Aufgaben der älteren Dame Folge leistet. In ihrem „Almanach“, ihrem kostbarsten Gegenstand, sind die Geschichten zu den bislang zusammengepferchten Gegenständen und den dazugehörigen Personen konserviert.
What Remains of Edith Finch – also, was von Edith Finch verbleibt – ist ein Tagebuch. Ein Tagebuch, in dem wie im Almanach der alten Dame, Erinnerungen konserviert sind. Im Spiel erkunden wir als Edith Finch, welche nach längerer Abwesenheit, das Familienhaus der Finches besucht – von denen sie das letzte verbleibende Familienmitglied ist. Dabei durchlaufen wir das Haus bedächtig, wie ein Museum und notieren in unserem Tagebuch die eingesammelten Erinnerungen. Jeder Raum, jeder Gegenstand dieses verlassenen Hauses trägt potentielle Geschichten in sich, Erinnerungen. Auf spielerischer Ebene bleibt dies recht unspektakulär. Ähnlich wie beim Begehen eines Museums, wo auch erst durch das Betrachten und anschließendem Imaginieren eine Erfahrung entsteht, werden hier erst durch das Betreten der unterschiedlichen Räume und Interagieren mit Objekten und Tagebucheinträgen die etwas verspielteren Sequenzen ausgelöst, die extern stattfinden, auf imaginärer Ebene. Spielbare Erinnerungen der letzten Momente der Familienmitglieder. Erinnerungen die so nahbar und authentisch wirken und gleichzeitig so absurd und krude, weil sie uns in die Imagination der jeweiligen Personen entführen, wie sie ihre letzten Momente wahrnahmen – oder wie wir als Edith uns vorstellen, wie sie es wohl wahrnahmen. Das Haus im Verbund mit dem Tagebuch sind Ediths konservierte Erinnerungen an ihre Familie. Ein verlassenes, stummes Haus, das lediglich durch die in sich befindenden Erinnerungen zu uns spricht, wie ein Museum der Stille.
Durch das Erinnern erhalten wir uns eine Vorstellung einer Person aufrecht, das Konservieren von Erinnerungen wiederum überträgt und formt die zukünftige Wahrnehmung, die Museumsbesucher über jene Personen erhalten könnten. So steuern wir wie und an was wir erinnern. Wir entscheiden uns für bestimmte Erinnerungen, die wir hervorheben und die darüber entscheiden wie die Personen nachträglich wahrgenommen werden. Im Spiel findet dies sehr respektvoll und entgegenkommend statt, wir entscheiden uns für den Aspekt der Person, von dem wir denken, dass dieser diese Personen auszeichnete. In What Remains of Edith Finch äußert sich dies beispielsweise durch die Geschichte des an einem tragischen Schaukelunfall verunglückten Calvin, welcher einmal Astronaut werden wollte. Ihn zeichnete seine Entschlossenheit aus, und so wollte sein Bruder Sam ihn, wie er es in einem Brief äußert, auch in Erinnerung halten. In der Spielsequenz stoßen wir uns erfolgreich von der Schaukel ab und fliegen. Es kann zwar zutiefst traurig sein diese Sequenzen zu spielen, doch gleichzeitig werden stets auch die Besonderheiten und Charakterzüge der Personen herausgearbeitet. In dem Brief seines Bruders Sam, äußert dieser, dass er ihn so in Erinnerung halten möchte.
How I Want to Remember My Brother, by Sam Finch
The thing I remember is that when he made up his mind, that was it. My brother said he’d die before he ate another mushroom. And he did. At Barbara’s funeral we swore we’d never be afraid again. And he wasn’t. I think Calvin always wanted to fly but that day he finally made up his mind to do it. I told him going around was impossible. Maybe if I hadn’t said that. Or maybe if the wind hadn’t picked up… then maybe he’d still be here but I doubt it. I think he’d already made up his mind. That’s what I want to remember about my brother. The day he made up his mind to fly.
… and he did.
Im Museum der Stille wird auf ähnliche Weise versucht den Verstorbenen Respekt zu zollen, weshalb es der alten Dame sehr wichtig ist, dass ihr neuer Angestellter ein Auge dafür entwickelt die „richtigen“ Objekte auszusuchen, welche letztlich mit den Personen assoziiert und eine Geschichte über sie erzählen sollen. Nur ist hier weniger wichtig, der Person selbst entgegenzukommen, sondern eher ein präzises Abbild der Persönlichkeit zu schaffen, statt ein möglicherweise verzerrtes Selbstbild der Person zu übertragen. Sie bildet ihn aus, erzählt ihm die Geschichten zu den von ihr bereits gesammelten Exponaten, und lässt ihn sie dokumentieren. Doch letztlich ist er dann auch für die weitere Objektbeschaffung zuständig, und so kommt es irgendwann zu einem ersten Todesfall im Dorf während seiner Anwesenheit. Bei diesem bekommt er jedoch noch von der alten Dame gesagt, welches Objekt er beschaffen soll – Ein altes Skalpell. Es soll an einen raffgierigen Chirurgen erinnern, der nun der Altersschwäche erlegen ist. „Für Geld hätte er den Leuten skrupellos alles wegoperiert.“ erzählt die alte Dame abschätzig über den Chirurgen. Auch hier wird bedacht darüber entschieden, wie und an was erinnert wird.
Beide Kunsterzeugnisse erwecken zunächst durch ihre Obskurität, ihre jeweilig verschrobene Morbidität, Interesse und Faszination beim Durchwandeln ihrer Welten. Sie lassen eine Auseinandersetzung mit dem Tod stattfinden, erzählen uns über Erinnerungen, den Prozess des Erinnerns selbst, sowie verschiedene Formen der Konservierung von Erinnerungen, den unterschiedlichsten Trägern von Erinnerungen. In „Museum der Stille“ sind diese Träger die Exponate und die dazugehörige Dokumentation. In What Remains of Edith Finch ist es ein Haus, dessen Räume, die darin liegenden Tagebücher, Briefe und Dokumente. Sie erzählen von dem was verbleibt, was die Existenz eines vergangenen Lebens bestätigt und die eigene Wahrnehmung erweitert, weshalb diese Werke tatsächlich nicht in reiner Traurigkeit abschließen. Sie versuchen uns mit ihren Geschichten zu bereichern, zeugen von einem Leben, mag es noch so unspekakulär oder kurz gewesen sein, bewerten nicht, und verabschieden im Optimistischen. Wobei, verlieren wir mal nicht die Bodenhaftung, es ist schon eher melancholisch, sehr sogar.