Triggerwarnung für Sprachpurist:innen!
Mit dem Neuerscheinen der beiden No More Heroes Titel auf Steam und einem somit auch erneuten Auftritt innerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, wurde ich an mein Vorhaben erinnert, doch endlich mal das Sequel – den Desperate Struggle – auf mich zu nehmen. Nur hätte man dafür ja bislang auch den Struggle in Kauf nehmen müssen, die Wii aufzubauen und in den Weiten des Internets nach einer verfügbaren Spielversion zu suchen. Zumal wäre da auch noch die damals berühmte Fuchtelsteuerung mit den Wii Controllern, welche aus damaliger Perspektive vielleicht noch ein außergewöhnliches Immersionserlebnis erzeugte, heute aber alleine die Vorstellung daran, eher abstoßend wirkt. Also wurde das Vorhaben des Nachholens erstmal verschoben, bis jetzt. Denn die Zeit ist mittlerweile reif, mit der PC Version kann ich endlich nachholen, was ich langwierig aufgeschoben hatte. Der Desperate Struggle wird nun endlich sein Ende finden! Nun, es gibt so einige Spiele, Spieler:innen und Spielerfahrungen, die von schlechten PC-Portierungen zeugen. In meiner Euphorie machte ich mir allerdings keine Gedanken über die technische Qualität dieser Portierung. Es wird angegeben als ausschließlich mit Controller spielbar. Für viele Hardcore-PC-Gamer:innen ist dies bereits ein Ausschlusskriterium und ein negatives Review wert. Ich bin da allerdings fein mit. Nur lässt es sich für mich zunächst trotz so ziemlich genormter Einstellungen und genormtem PS4 Controller erst einmal nicht spielen, der Controller wird vom Spiel schlicht nicht erkannt. Der Struggle ist zurück und er ist real. Dieser erste Struggle konnte sich jedoch mit ein wenig Recherche und einem Haken weniger in den Steam Controller Einstellungen beseitigen lassen.
Abermals ist es Ziel des Spiels als Travis Touchdown die Rangliste der UAA (United Assassins Association) zu erklimmen. Diese Rangliste besteht aus einer Vielfalt von unterschiedlichen exzentrischen Persönlichkeiten, welche sich jedoch auf dem einen Nenner, dem Morden für sozioökonomischen Aufstieg, zusammenfinden. Dem Morden aus reinem Verdrängungsgedanken, um das eigene Ziel zu erreichen. Das Ziel selbst mag aus einem Affekt heraus entstanden sein, doch aufgrund der Ranglistenstruktur sind die Begegnungen zumeist unpersönlich und im Zentrum steht der Kampf selbst – bzw. die Aufstiegsmöglichkeiten, die mit einem Sieg einhergehen – und nicht die zwischenmenschliche Auseinandersetzung. Viele dieser Persönlichkeiten strugglen mit ihrem Dasein, welches sich auf das reine Morden reduziert. So skurril und comichaft die Darstellung auch sein mag, schafft es No More Heroes mit der Rangliste und allen daran Teilnehmenden eine Mikrogesellschaft der Durchsetzungskraft und den daraus entstandenden Persönlichkeiten abzubilden, deren Essenz es ist, allen anderen überlegen sein zu wollen und der oder die Stärkste zu sein. Das Morden, das Beseitigen der Kontrahent:innen verschafft ihnen eine bessere Positionierung, die Möglichkeit auf Ruhm, Anerkennung, Erfolg und Geld. Im Sequel wird Travis von einer Kontrahentin dafür beneidet, diesem System abgeschworen haben zu können. Nachdem er im ersten Teil erfolgreich all seine Kontrahent:innen beseitigte und das Ziel seiner Träume erreichte, dieses sich jedoch nicht als ergiebig offenbarte, begab er sich ins Exil. Nun betritt er die Rangliste jedoch wieder. Äußere Umstände trieben ihn dazu. Inszenatorin dafür ist erneut Sylvia, eine Agentin der UAA. Ihren Verführungen erlag Travis schon im ersten Teil. Dieses Mal zieht sie Travis aus der Versenkung seines Exils, indem sie einen Kampf zwischen ihm und Skelter Helter inszeniert. Durch den Sieg ist Travis wieder Teilnehmender der Rangliste, sowie jeglicher Machenschaften unter den Teilnehmenden. Bald darauf lässt Jasper Batt Jr. – der CEO der Pizza Bat Corporation und Erstplatzierter der Rangliste – einen guten Freund von Travis ermorden und der Struggle beginnt erneut. Nun, als Opfer seiner Rachegelüste und der Rangliste selbst, nimmt Travis sich mit neu entflammtem Willen abermals vor, alle vor ihm Platzierten zu beseitigen. Die Entscheidung an der Rangliste teilzunehmen, entstammt in Santa Destroy oftmals nicht einer freiwilligen Natur. Die Rangliste beeinflusst die Sozialisation der gesamten Stadt. Die Menschen dort könnten zwar nicht unterschiedlicher sein, doch was die Rangliste betrifft, sind sie alle gleich.
Travis selbst ist zwar engstirnig und unverschämt, doch versucht sich stets seine durch Otaku-Sozialisation angeeignete Vorstellung von Ehre aufrecht zu erhalten – in dieser Welt voller Nicht-Helden, die sich zwar alle durch ihre einzigartige Art, ihre Individidualität auszeichnen lassen, gleichzeitig jedoch auch alle diesem System des gegenseitigen Verdrängens, dem Spiel des Herausstechens, unterworfen sind. Der Erstplatzierte will neben der Verteidigung seines Assassinenrangs auch als CEO und Erbe eines erfolgreichen Familienunternehmens deren Wirtschaftsimperium weiterführen und weiter ausbauen und treibt so die Gentrifizierung der Stadt voran, ist also durchgehend mit dem Ausbau seiner Machtposition und dem Kleinhalten jeglicher Konkurrenz beschäftigt. Seine jeweiligen Positionen, als CEO sowie als Ranglistenerster, begünstigen einander. Die Zweitplatzierte ist sich ihrer Situation und ihrer Abhängigkeit, der Rangliste unterworfen zu sein, zwar bewusst, doch findet keinen anderen Weg heraus und ergibt sich dem endlosen Kreislauf des Mordens. Sie betrachtet ihre tödlich endende Niederlage gegen Travis als erlösend. Diesen beneidet sie um dessen Naivität bzw. Fähigkeit diesem System so mühelos entsagt haben zu können. Die Viertplatzierte ist neben ihrem Assassinendasein ein klassisches Pop-Idol, welche den Gedanken verankert hat, ja nicht in Vergessenheit zu geraten, ihrem Publikum zu gefallen und Erinnerungswürdiges zu schaffen, wie einen einprägsamen Popsong, einen Ohrwurm, durch welchen sie möglicherweise auf ewig in Erinnerung verbleibt.
Die Teilnehmenden verbindet ihre Sucht nach Ruhm und Anerkennung, sind sie erst einmal Teil der Rangliste, gibt es für sie keinen anderen simpleren Weg heraus, als durch die Rangliste selbst, letztlich umzukommen. Die Bosskämpfe und deren Inszenierung, generell die Inszenierung des gesamten Spiels, waren schon im ersten Teil ein Highlight, so bleibt es auch im Sequel. Es macht unheimlich Spaß der Inszenierung zuzuschauen, sich die cheesy Sprüche der exzentrischen Figuren anzuhören und sich durch die hochstilisierten Batshit Insanity Japano Gefechte zu spielen. Es mag 1-2 Kämpfe geben, die mehr ausdauernder Krampf als herausfordernder Kampf sind, doch selbst bei diesen lässt sich der designtechnische Aufwand wertschätzen. Doch findet all dies auch in temporeicher Aneinanderreihung statt.
Das Spiel ist ein einziger Struggle. Es gibt keine Pausen, keine entspannten Spielelemente, alles ist dem Strugglegedanken unterworfen. Selbst die vielen unterschiedlichen Minispiele, in welchen man sich etwas Kleingeld dazuverdienen kann, setzen ausnahmslos unter Stress. Selbst das Spielen mit der Hauskatze basiert auf Highscoredenken. Es gibt keine Situationen in denen wir mal nicht strugglen. Im Vorgänger gab es noch die frei begehbare offene Spielwelt, auch wenn diese ziemlich unspektakulär blieb, so konnten wir in dieser auch mal das Tempo herunterfahren, in eigenem Tempo die Spielwelt begehen. Diese letzte Instanz des Nichtspekakels wurde nun auch entfernt. Wir begeben uns nun lediglich von Mission zu Mission zu Minispiel zu Mission, per Knotenpunktauswahl auf der Spielkarte. Wahrscheinlich war es eine bewusste Entscheidung die als Schwäche anerkannte offene Spielwelt zu entfernen und den Fokus komplett auf Inszenierung und Bosskämpfe zu setzen. Doch könnte dies eine effektvolle Nebenwirkung ausgelöst haben – der Struggle der Rangliste wird noch weiter in den Vordergrund gerückt. Es gibt keine banalen Ablenkungen mehr, alles basiert aufs Aufsteigen, Voranschreiten. Vielleicht soll es also so sein, ein reduzierteres Spiel, eine beißende Sozialkritik, eine Satire. Denn wir spielen es ja gerne, es macht Spaß an dieser Rangliste teilzunehmen, mit all ihren außergewöhnlichen, exzentrischen Teilnehmenden, ihren herausstechenden One Linern und Bosskampfinszenierungen denen wir gespannt entgegnen, von denen wir uns amüsieren lassen. Eine Rangliste, die mit ihren Wettbewerbsdynamiken einen aussichtslosen Kampf, einen Desperate Struggle, bei all ihren Teilnehmenden, auslöst. Ein Gesellschaftsporträt voller starker und außergewöhnlicher Individuen, die alle die Nummer Eins sein wollen. Doch in dieser Welt wo jeder außergewöhnlich ist, ist es keiner mehr – sie strugglen mit sich selbst. Hier kann es nur einen Gewinner geben, den wohl am wenigsten Außergewöhnlichen, Travis Touchdown. Der Rest verliert diesen hoffnungslosen Kampf. Sie betrachten sich alle als Helden und Heldinnen eines Spiels, gehen davon aus, dass die Rangliste aufzusteigen die Heldenhaftigkeit mit sich bringt, denken, dass es darum geht besser zu sein, als alle anderen, alle anderen zu verdrängen. Sie gingen davon aus Helden zu sein, die einzig durch ihre Individualität herausstechen. Travis sah die Rangliste vielleicht stets als das Spiel das sie ist. Er konnte einst schließlich ausbrechen, wurde der No More Hero. Doch ist er den Wettbewerbsdynamiken denn wirklich so immun gegenüber wie gedacht? Dürstet nicht auch er nach Anerkennung?

Am Ende hängt er doch sowieso wieder an den Schultern seiner Herrin Sylvia und gibt sich als Sklave der Rangliste. Mit der Fortsetzung betritt er den Kreislauf erneut – und in Zukunft wird er es wahrscheinlich auch wieder tun. Denn das ist sein Desperate Struggle. Sein aussichtsloser nicht enden wollender Kampf.
