Man kann sicherlich nicht mit Bestimmtheit sagen wie die Bevölkerung Nordkoreas über ihre Lage denkt, was sie fühlt, wie es ihr im Allgemeinen ergeht. Doch man kann es sich vorstellen. Das freie Denken wird durch den trostlosen Propagandawahnsinn unterdrückt. Alles wird vom Staat gelenkt. Was man zu denken hat, wie man zu leben hat, wem man zu dienen hat. Ein Führer, der für sein Volk die Rolle einer gottgleichen Entität einnimmt. Ein Führer der sein Volk in einem System der Gedankenkontrolle festhält, eine Menschenhaltung, eine Verunmenschlichung. Ein vorherbestimmtes Leben, ohne eigenen Einfluss, ohne Selbstbestimmung. Ein System, welches die Bevölkerung von klein auf darauf drillt das eigene Land und den Führer zu lieben und zu ehren, parallel dazu, alles was nicht dem eigenen Land entspricht, zu verachten. Wenn man denkt man lebt im Paradies hat man vielleicht kein Interesse an den Zuständen außerhalb der eigenen Grenzen, die wollen einem ja eh nur Böses. Die Menschen wachsen in diesem System auf, fügen sich, nehmen ihre staatsgegebene Rolle ein. Ein Kind jedoch, ist noch frei und ungeprägt von propagandistischen Einflüssen, zeigt manchmal sogar noch freie, unbestimmte Emotionen, bis es letztlich auch Teil des Systems wird. Diese freien und unbestimmten Emotionen wurden teils von einem Dokumentarteam eingefangen und illegalerweise mit über die Grenzen geschmuggelt.
2015 erschien der Dokumentarfilm „Im Strahl der Sonne“ von Vitali Manski. Er und sein Team erhielten tatsächlich eine Genehmigung dafür das Alltagsleben der 8-jährigen Zin-Mi sowie ihrer Eltern in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang, über die Zeitspanne eines Jahres hinweg, zu begleiten und auf Kamera festzuhalten. Doch nicht ohne, dass so einige Regularien getroffen wurden. So wurde das Dokuteam stets von Behördenmitgliedern begleitet und die Doku sollte eigentlich ein fiktiver Film, ein Propagandafilm, werden. Ein Drehbuch wurde vorgelegt, und so ziemlich jede Szene ist und wirkt inszeniert. Die Filmemacher scheuten aber nicht davor, unter ihrer stetigen Beobachtung, auch zwischen den inszenierten Aufnahmen, die Kamera laufen zu lassen. So schafften sie es, auch Momente der Menschlichkeit einzufangen, hinter die glückliche Traumfassade zu blicken. Die Regieanweisungen der Regimekollegen, das gelangweilte Gähnen von Kindern, oder auch eine Träne des Unmuts von Zin-Mi, welche in einer Ausnahmeszene, während einer kurzen Abwesenheit der Kontrollpersonen, vom Filmemacher gefragt wurde, wie sie sich ihr zukünftiges Leben vorstellt. Beim Beantworten dieser Frage beginnt sie zu reflektieren, ihr Leben ist dem Führer gewidmet, vorherbestimmt und uneigenbestimmt, sie beginnt zu weinen. Die von den Kontrollinstanzen so mühevoll errichtete Traumexistenz zerfällt. Einen bitteren Beigeschmack hat dieser so scheinbar mutig eingefangene Blick hinter die Kulissen doch. Was ist wohl aus der Familie geworden, aus Zin-Mi? Sie konnten sicherlich nichts dafür, sie wurden vom Dokuteam „hereingelegt“, Zin-Mi zeigte Emotionen des Unglücks. Dieser Blick hinter die Kulissen stößt dem Regime sicherlich sauer auf. Vielleicht fügte sie sich dem System wie alle anderen auch, vielleicht wurde sie samt Familie in ein Arbeitslager gesteckt. Man will es sich nicht ausmalen. Man weiß es nicht. Denn genauso wenig Information wie in Nordkorea hineindringt, dringt auch wieder heraus. Folgen und Gedanken mit denen sich die Filmemacher arrangieren müssen.
„Weine nicht.“
„Denke lieber an etwas Schönes.“
„An was?“
Den Dokumentarfilm „Im Strahl der Sonne“ kann man sich kostenlos in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung ansehen: http://www.bpb.de/mediathek/245969/im-strahl-der-sonne