Der Vorsatz der Gans – Untitled Goose Game

Tiefschwarze, ausdruckslose Augen. Ein seelenloses Wesen, aus Diabolik gezüchtet. Eine verdorbene Kreatur, einzig und allein dafür geboren, eine To-Do-Liste der denkbar unmenschlichsten Aufträge durchzuführen. Ausgestattet mit einer kühlen Mentalität, die es ihr erlaubt jene Aufträge zu absolvieren, begibt sie sich auf die Lauer, um uns in den Wahnsinn zu treiben, um unsere angestrebte Ordnung ins Chaos zu stürzen.

Ein neues Jahr bricht herein. Ein neues Jahrzehnt. Die Jahreswende bringt auch stets verlässlich viele Vorsätze mit sich mit, und bricht jene kurz danach mit ähnlicher Verlässlichkeit. Vorsätze von kleingeistiger Belanglosigkeit, dazu bestimmt, nicht eingehalten zu werden. Wir baden im Luxus, in einem Luxus, der schon von der kleinsten Erschütterung ins Wanken gerät. Unsere Belastungen wählen wir selbst, fremdbestimmt ist kaum noch etwas, uns obliegt die volle Kontrolle, Kontrolle zur Ordnung. Doch die kleinste Veränderung, geschweige denn eine Regression unserer Wohlstandsanhäufung, entlockt uns bereits panisches Entsetzen und wutentbrannte Aufregung. Unser immenser Luxus macht uns blind. Die sich anbahnende Verwüstung erahnen wir nicht. Wenn das Schnattern der Gans durch das Treppenhaus unseres Elfenbeinturms ertönt, beginnt alles zu kollabieren. Unser labiles Gemüt gerät außer Kontrolle. Plötzlich werden wir uns unserer Verletzlichkeit bewusst. Eine Gans, die es schafft, alles zu verwüsten, alles zu zerstören. Eine vermeintlich diabolische Gans, die die Grundfesten der menschlichen Zivilisation zum Erschüttern bringt. Ein Erschüttern, dass ein Erwachen zur Folge haben kann. Die Gans zwingt uns aus unserer Bequemlichkeit heraus, zwingt uns wieder aktiv und spontan zu agieren, zu handeln.

Vorsätze sind Pläne, meist Pläne, die wir schmieden, um uns selbst zu verändern, zu verbessern. Wie werden wir die beste Version unseres selbst? Im Grunde ein edles Vorhaben, doch sollte dieses Vorhaben wirklich auf solche Weise erzwungen werden? Sollte dieses Vorhaben „geplant“ werden? Sollten wir uns wirklich künstlich eine solch immense Last auferlegen, zu der wir meist nicht im Stande sind sie zu stemmen? Nur um daran zu scheitern und uns selbst zu betrügen, zu enttäuschen? *HONK!* Dann ertönt es, das Schnattern der Gans. Es schreckt uns auf, honkt uns aus unserem verkopften und versteiften Denken heraus. Lässt uns all unsere Pläne über den Haufen werfen. Zwingt uns umzustrukturieren. Denn sie, die Gans, kennt nur einen Vorsatz: die Vernichtung aller anderen.

Ein Vorsatz, sie alle zu knechten, zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Ein Vorsatz, der alle anderen Vorsätze in sich aufnimmt, sie verschluckt und sie als den Haufen Dung der sie sind, wieder ausspuckt, sodass sie dieser Erde als solcher dienlich sein dürfen. Der Vorsatz, alle anderen Vorsätze über den Haufen zu werfen. Denn die Gans lauert über jene, die versuchen sich selbst zu betrügen. Sie schubst kleine Buben in dreckige Pfützen, sperrt penible Hobbygärtner aus ihren eigenen Anbaupalästen, bringt die Ordnung einer Ladenhüterin durcheinander, zettelt einen Nachbarschaftskonflikt an und treibt ihn zur Eskalation, und zieht dem Patriarchat den Boden unter den Füßen weg. Sie bringt Chaos in eine Welt voller Ordnung. Sie sticht uns, damit wir uns wieder menschlich fühlen können. Sie treibt die menschliche Zivilisation an den Rand des Wahnsinns, doch sie treibt sie auch zueinander. Gemeinsam ins Chaos.

Die Präsenz der Gans schwebt über unserem Nest des Wohlstands, gewebt aus leicht entflammbarem Material. Die goldene Glocke des Dorfturms – einer Miniatur-Version des Dorfes, eine Repräsentation unseres tiefsten Unterbewusstseins – lässt sich für die Gans nur allzu leicht zu Fall bringen. Sie zerstört unseren Rhythmus. Unser geregeltes Leben, welches wir nach dem Klang dieser Glocke richten, wird gestürzt. Die Gans stiehlt diese Glocken, zwingt uns wieder Mensch zu sein, das Chaos zu zelebrieren, und den einzig wahren Vorsatz der Gans zu akzeptieren: Den Vorsatz, allen anderen Vorsätzen zu entsagen.

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