Abzu – Um ab und zu mal abzutauchen

Im Angesicht gegenwärtiger Zustände kann das Bedürfnis erwachen, abschalten zu wollen. Nicht zwingend um den Sorgen auszuweichen oder sie zu ignorieren, sondern eher ein Abschalten um sie überhaupt erst bewältigen zu können. Abschalten, um Ruhe zurückzugewinnen. Oder auch lernen überhaupt erst einmal abschalten zu können. Ob eben vom Ausbruch einer Pandemie und der daraus resultierenden Klopapierhysterie oder auch von alltäglicheren Belastungen wie den stressigen Arbeitstag, Klausurendruck, existenziellen Ängsten um den Fortbestand der Menschheit oder schlicht vom ständigen Scheitern in kompetitiven Multiplayer Games. Ab und zu überfällt einen eben doch irgendwo gerechtfertigt das Bedürfnis einfach mal abzutauchen, den Kopf ins Wasser zu halten und all den omnipräsenten Lärm abzuschalten. In Videospielen soll das ja geläufig ganz gut funktionieren, doch bei solch wässriger Sprache überkommt einen glatt schon wieder die panische Angst vor den allseits gefürchteten Unterwasserleveln.

Unterwasserlevel genießen in der Szene eine eher geringe Wertschätzung. So werden sie oft als Störfaktor wahrgenommen, sind oft der Auslöser für Stressausbrüche in einem Medium, dass uns einst Entspannung versprach. Oft ist die Steuerung unter Wasser zu schwerfällig, zu penetrant nervig. Uns wird der spielerische Flow entzogen und Hürden gestellt wie: Knappe Luft oder gefährliche Tiefseeungeheuer denen es auszuweichen gilt. Ein potentiell meditatives Unterwassererlebnis wird zu einem Kampf, Krampf. Unter Wasser werden wir also – berechtigterweise – unserer ursprünglichen spielerischen Freiheit beraubt, da sich die Spielmechanik verändert oder gar reduziert. Wie aber sieht es bei einem Spiel aus das von Beginn an unter Wasser stattfindet und uns gar nicht erst die Vorzüge eines Landgangs an der frischen Luft kosten lässt? Fällt es leichter in ein solches Spiel abzutauchen? Ein Tauchgang in Abzu.

Das Spiel beginnt ohne Erklärungen, Tutorials oder anderen gebräuchlichen Wegweisern. Ein HUD gibt es auch nicht. Das reine Wahrnehmen der Ästhetik, das Erkunden und Erfassen der Umgebung stehen im Vordergrund. Vielmehr als das gibt es allerdings auch nicht zu tun, braucht es vielleicht auch gar nicht. Entgegen der herkömmlichsten Fortbewegungsmethode, dem Gehen, geht es in Abzu – fast – ausschließlich per Schwimmen bzw. Tauchen voran. Somit wird das Tauchen auch nicht als Störfaktor wahrgenommen. Es ist die zentrale Spielmechanik. Wir schwimmen durch herrlich fantastische Unterwasserumgebungen, sammeln ab und zu kleine Hilfsbots ein und erschließen neue, stets sehr unterschiedlich gestaltete Areale. So treibt das Spiel dann vor sich hin, während all die optischen Eindrücke auf einen einwirken.

Doch dann fängt es an auch noch etwas zu erzählen, ohne jedoch je etwas zu sagen. Nur durch die Bildsprache und unseren Interaktionen erfahren wir von einer Welt, in welcher künstlich Erschaffenes und Natur in friedlichem Einklang koexistieren. Nur vom Menschen selbst fehlt jede Spur. Nur die womöglichen Hinterlassenschaften derer scheinen hier zu existieren. Eine Welt, die lediglich von Maschinen und Tieren bevölkert wird. Wir erleben diese Welt als ein Android, welcher selbst noch zu einem Erweckungserlebnis geführt wird aber auch sein Drumherum zum Erwachen bringt, Strömungen erzeugt und sich von ihnen treiben lässt. Eine anfangs recht karge Unterwasserflora- und Fauna wird neu belebt und zum Erblühen gebracht.

Das Spielerlebnis inszeniert sich wie von selbst. Es gibt kein Game Over und generell sind wenige Tastendrucke neben dem Gedrückthalten von Richtungstasten nötig. Doch erfordert Stressbewältigung nicht auch irgendwo das Vorhandensein von Stress? So werden wir doch in den meisten Videospielen mit solchen stressigen Situationen konfrontiert, die so wohldosiert sind, dass sie zwar mal leichter, mal schwerer zu meistern sind, aber uns stets die Ausschüttung von Glücksgefühlen versprechen. Wir überkommen Herausforderungen, um das wohlige Gefühl der Stresserleichterung zu erhalten. So können das Ausmisten des Gartens bei Stardew Valley, oder das Bezwingen eines untoten Riesenaffens in Sekiro, unerwartet große Mengen an Stress Relieves auslösen, aber eben weil sie uns zunächst vor Herausforderungen stellen. In Abzu werden wir vor keine Herausforderungen gestellt, zumindest vor keine sichtbaren. Die Widmung der Aufmerksamkeit auf eine Spielwelt, die keine Hürden stellt, mag wohl die größte Herausforderung sein. Es ist eine Flucht ins Nichthandeln, eine Übung in Zurückhaltung, wo wir doch eigentlich so gerne selbst Probleme lösen und uns selbst verwirklichen. Hier gilt es jedoch eher sich zurückzulehnen und von der Strömung mitziehen zu lassen, einfach abzutauchen.

 

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