Wer kennt sie nicht – diese Momente im Leben, in Videospielen, wo wir uns selbst hinterfragen, unser Tun, unsere Motivation und darauf dann auch noch unseren gesamten Wertekomplex, unsere Wünsche und Träume hinterfragen? Wo liegt der Kern einer solchen selbstgestellten Existenzkrise? Worin ist sie begründet sowie all die darauffolgenden Fragestellungen? Könnte ich meine Zeit nicht anders verbringen, besser? Wenn wir die immerselbe Taste wieder und wieder drücken und die uns umschließende Leere, der sich wiederholenden Tätigkeit, beginnt, unseren Ehrgeiz in Frage zu stellen? Wenn die an uns gerichtete Herausforderung eines Videospiels als zu groß erscheint, sie uns unmöglich scheint zu lösen. Wenn wir noch Ehrfurcht verspüren vor der Gewaltigkeit und Höhe einer zu erklimmenden Herausforderung, wenn sich diese Ehrfurcht in Ehrgeiz umwandelt. Ja, dann ist ja eigentlich noch alles in Ordnung und wir besitzen eine Form von Spielfreude. Doch wenn der Erkenntnismoment einsetzt und die Möglichkeit eines Triumphs in weite Ferne rückt, umgreift uns imer mehr die schmerzhafte Leere. Wenn die Herausforderung sich jedoch anschleicht, sich niemals mit einer umfassenden Gewaltigkeit ankündigt, wenn die Herausforderung als banales Minispiel daherkommt, dann tritt der Erkenntnismoment rasend die Türen zur Selbsthinterfragung ein. Frustration entrinnt und ich beginne mein gesamtes Dasein in Frage zu stellen. Vielleicht ist es gerade die Banalität dieser Aufgabe, weshalb ich mir dann denke es schaffen zu müssen. Das wäre doch lächerlich, an einer solchen Herausforderung zu scheitern! Ja, genau, es handelt sich um die Kniebeuge-Challenge aus Final Fantasy VII: Crisis Core. Ein Spiel in dem man gegen gottesgleiche Wesen, Monster und künstlich erschaffene Supersoldaten kämpft. Doch all diese Gegner sind nicht das Problem, sind nicht der Auslöser der Krise, selbst wenn sie schwierig wären – dann würde ihr Status, ihre Imposanz, ihr spielkontextueller Hintergrund ihren Schwierigkeitsgrad rechtfertigen und somit auch das Scheitern an ihnen. Doch eine banale Kniebeuge-Challenge, bei welcher ich nur im richtigen Timing die Dreieck-Taste, einen einzelnen Button, drücken muss, es jedoch nicht schaffe, stößt mich an die Frustrationsgrenze. Es treibt in den Wahnsinn, die Frustrationsschwelle schon längst übertreten, nach Rechtfertigungen für mein Tun suchend, flüchte ich mich nun in diesen Text. Doch vielleicht sind es gerade diese Herausforderungen, die uns die Bestätigung liefern, dafür, dass es wert ist, sich für etwas einzusetzen! Und sei es nur für einen selbst. Was für ein Quatsch, die verzweifelte Suche nach Motivationsphrasen beginnt. Viele solcher Momente erlebt man in scheinbar unerzwingbaren Bosskämpfen in Souls-Spielen, oder auch in kompetitiven Multiplayer-Modi. Aber die Umstände dieser Situationen rechtfertigen stets ihre Schwierigkeit, ein Bosskampf sollte schwer sein, im Multiplayer trifft man auf andere begabte Menschen, klar. Aber alleine, gegen den einen Button – darf ich da scheitern? Man sollte scheitern dürfen, sicherlich. Doch es fällt mir schwer, mich selbst weiterhin zu akzeptieren, sollte ich an dieser rein optionalen, doch bewusst platzierten Nebenaufgabe scheitern. Ich muss es versuchen, den Kampf gegen den mir vorgesetzten Rhythmus in welchem ich Dreieck drücken soll, aufnehmen. Wer bin ich, wenn ich das nicht schaffe. Wer bin ich wenn ich das schaffe? Es ändert nichts nach außen, es ist ein rein innerer Kampf, für mich. Ich drücke Dreieck, mindestens 53 Mal, im richtigen Takt, dann ist es geschafft.

Crisis Cores Protagonist Zack Fair ist ein Charakter mit simplen aber standhaften Überzeugungen. Mit Ehre und Ehrgeiz widmet er sich seinem Traum, einmal ein Held zu werden. Dies möchte er als Mitglied des Sicherheitspersonals beim sogenannten Shinra-Konzern erreichen. Shinra züchtet eine Menge solcher jungen aufstrebenden Supersoldaten heran, genmanipuliert sie und schult sie in Gehorsamkeit, um wehrhaft zu sein gegenüber jegliche Form des Protests und Konzernfeinden, sowie um andere Menschen und Regionen unterwerfen zu können und ihren Machtstatus weiter auszubauen. Und diese Machtwerkzeuge werden dann als Helden gepriesen. Zack Fair ist dies zunächst nicht bewusst, er hat erst nur die aus „heldenhaften“ Taten resultierende Anerkennung im Blick. Was genau diese Taten sind, rückt ihm erst später in Sichtweite. Für heldenhafte Taten braucht es für Zack zunächst einen stählernen Körper, deshalb sieht man ihn immerzu Kniebeugen drücken. Doch was folgt darauf? Was muss er tun, um als Held zu gelten? Einfach nur 53 Kniebeugen im richtigen Takt? Das richtige Taktgefühl zu erlernen ist jedenfalls schon mal ein Aspekt der erlernt werden muss. Zack und auch Spielende werden im Verlauf vor viele Fragestellungen und Sinnkrisen gestellt. Was tun wir hier eigentlich, für wen und für was? Wem könnten wir mit unserem Handeln schaden, wem wollen wir schaden und wem helfen? Für Shinra gilt er schon bald als nützliches Machtutensil, doch ist dies wirklich das Heldentum, das er anstrebte? Vielleicht ist eine Neuausrichtung der eigentlichen Bedeutung seines Traumes nötig. Unter blindem Gehorsam führt Zack jegliche Unmenschlichkeiten aus, sieht in den Augen der Leidtragenden eher wie ein Kriegsverbrecher aus, während er für den Konzern einen Status als Heilsbringer innehat. Durch die Aufstiegsversprechen des Konzerns verlor er seine eigentlichen Ideale aus den Augen. Wofür nur waren all die Kniebeugen? Für wen wollte er ursprünglich als Held gelten?
Zeit ist nur noch ein grobes Konstrukt, abseits meines Bewusstseins, meiner Wahrnehmung. Versuche ich es seit 10 Minuten oder schon seit 3 Stunden? Ich bin mir nicht mehr sicher. Einzig der Wille es zu schaffen ist mein Lebensantrieb, ohne dies absolviert zu haben kann ich nicht schlafen, nicht fortfahren mit sämtlichem Anderem. Eines lässt mich allerdings stutzig werden. Nach zigfach wiederholtem Male, nehme ich den Text, der mir nach dem Scheitern vor Augen erscheint, zum ersten Mal so richtig wahr. „Noch mal?“ Und endlich wird mir alles klar. Die selbstauferlegten Zwänge schwimmen plötzlich den Bach hinunter. Der Damm ist gebrochen. Ich kann aufhören. Es ist nicht nötig, sich diesen Qualen auszusetzen. Auch das gehört zum Spiel, sich einer Qual auszusetzen, sie zu realisieren und abzuwägen, ob sie es wert ist. Der Kampf gegen einen weltenvernichtenden Größenwahnsinnigen mag es sein, aber die effektlose, stumpfsinnige, ins Nichts führende Drückerei des Dreieck-Knopfes? Für manche auch diese. Aber ich habe jetzt jedenfalls „keine Lust“ mehr.

Zack Fair wird im Verlauf des Spiels schon alsbald befördert und sein Traum scheint verwirklicht. Das war alles was er je gewollt hatte – oder? Allzu glücklich scheint er nicht, er ist überrascht darüber. Er macht auch weniger Kniebeugen – hat er das Ziel aus den Augen verloren, sitzt in einer Sinnkrise? Im letzten Drittel überschlagen sich einige Ereignisse und Zack ist gefordert zügig zu handeln, Entscheidungen zu treffen und sich gegebenenfalls neu auszurichten, um die Krise zu überwinden. Plötzlich steht er jedoch da, so wie eh und je, mit seinem grenzenlosen Elan und Optimismus, dem eigentlichen Ziel wieder im Blick. Völlig unbeeindruckt von der Gewaltigkeit der Aufgabe, die sich vor ihm offenbart. Diese Aufgabe scheint unmöglich, denn es ist der Konzern selbst, der sich vor ihm in Form von reihenweisen Soldaten gegenüberstellt. Auch wenn es das letzte sein sollte, was er tut, tut Zack es nun mit Entschlossenheit und mit der stets erwähnten Ehre, seinem Traum und seinen Idealen im Blick. Die Krise ist überwunden. Eine Kniebeuge als könnte sie die letzte sein.
Die Gedanken machen sich wieder selbstständig. Ich verliere die Kontrolle über meinen Willen. Es ist absurd, ich hatte der Challenge doch abgeschworen! Was mache ich mir vor, ich muss diese Challenge aus dem Weg räumen, bevor ich in diesem Spiel weiter progressiere. Das klassische „Eine Nacht drüber schlafen“-Verfahren, welches bei so vielen Lebenssituationen sowie Videospielsituationen hilft, hat natürlich auch hier geholfen. Mit neuem Taktgefühl setze ich mich erneut vor die Herausforderung. Zuvor hatte ich mich nahezu 2 Stunden an dieser Ausgeburt des Banalen verausgabt, und nun ist es absolviert innerhalb von weniger als 10 Minuten. Vielleicht sollte man doch nicht jedem Hindernis aus dem Weg gehen. Sondern eher sich neu orientieren, neue Energie schöpfen und die Ruhe zurückgewinnen. Die Grausamkeit der Banalität kann manchmal ganz schön zusetzen, um Meister der Kniebeugen zu werden, entgegnet man ihr am besten besonnen und fokussiert. Denn die Herausforderung besteht letztlich lediglich darin, beim Dreieckdrücken nicht den Takt zu verlieren.
Am Ende fragt man sich bei Crisis Core, ob das alles wirklich nötig war. Erzählstränge die ins Nichts führen und auch generell stets im narrativen Abseits stattfinden. Als Prequel ist es einem unausweichlichem Schicksal unterworfen, da die Haupterzählung bereits feststeht, da ist es nur allzu leicht einer Sinnkrise zu verfallen. Final Fantasy verliert sich oft in esoterischem Geschwafel, darin nicht den Takt zu verlieren ist tatsächlich herausfordernd. Zack Fair begegnete seiner Ausgeliefertheit und machte Kniebeugen bis zum wortwörtlichen Umfallen. Doch wer weiß, welche Szenarien die Esoterik zukünftiger Final Fantasy Erzählungen noch für uns aufbereitet und inwiefern sie versuchen angenommenen Schicksalhaftigkeiten auszuweichen. Kniebeugen ohne Umfallen vielleicht.
